Poetry Slam 17.3.23
Es war ein spannender und schöner Abend im Audimax, als wir zunächst je zwei Texte der fünf Teilnehmer:innen hören durften.
Britta, Jackey, Jan Michael, Laura und Marie gaben ihr Bestes, sehr zum Gefallen der Zuschauer:innen, von denen die zufällig ausgewählte Jury drei der fünf ins Finale schickte.
Erneut konnten wir uns an tollen Texten und ihrem Vortrag erfreuen, aber irgendwer musste gewinnen…
Vielen Dank an die Slammer:innen und alle die da waren, sie lautstark zu supporten!
Sieger:innen
Ein Unterschied im Applaus der Zuhörer:innen war bei zwei der drei Finalist:innen nicht herauszuhören, und so hatten wir am Ende einen Doppelsieg. Den Text von Britta Mekelburger dürfen wir hier veröffentlichen:
"Weil ich es nicht mehr hören kann"
„Was haltet ihr vom Gay-Pride?“
Die Frage starrt mir fordernd aus meinem Handy entgegen,
aus einer App, deren Nutzer nicht unbedingt konstruktive Diskussionskultur pflegen, und ich sollte es besser wissen,
sollte nicht tippen,
doch ich kann nicht anders
und meine Finger öffnen den Post.
„Find ich cool“, schreibt jemand und ich atme ein.
dabei sollte mir die Meinung doch egal sein.
„Nervig“, schreibt ein anderer. „Warum müssen die so laut sein
und allen erzählen, dass sie schwul seien?
Warum muss sich alles um sie drehen?
Das muss doch wirklich niemand sehen!
Ich stell mich doch auch nicht hin
und erzähle jedem, dass ich hetero bin.“
Ich rolle meine Augen.
Kommentare wie diese sind es nicht wert, dass man sie würdigt,
ohne Aussicht auf Einsicht,
ignorante Worte ohne Gewicht.
Kommentare wie diese sind leicht zu verdrängen,
doch es gibt andere, die bleiben mehr an mir hängen,
von denen wünschte ich, ich könnte sie ignorieren,
doch leider kommen sie viel zu oft auch von Freunden und von Lieben.
„In Deutschland muss man doch keine Angst mehr haben.“, ist so ein Kandidat.
„Heute muss man sich doch nicht mehr outen.“,
oder „Die Gesellschaft ist doch tolerant“
„Ich verstehe nicht, warum wir heute Pride noch brauchen.“
Ich seufze tief,
es ist kein genervter Seufzer,
sondern ein Seufzer, der versteckt, wie weh diese Sätze tun.
Weil sie mich nicht beleidigen, mich nicht diskriminieren,
sondern Erinnerungen regen, und mir meine Stimme nehmen,
mir das Recht stehlen,
meinen Schmerz und meine Angst wahrzunehmen,
nur weil andere sie nicht verstehen.
Ich lege das Handy weg und schließe meine Augen, doch zu spät
denn die Flut ist längst gesät.
Als wär‘ ich ein Papierboot in Seenot
sehe ich Wellen von Erinnerungen über mir ragen,
die mich mitreißen und mich schließlich erschlagen,
und ich werde fortgespült.
Ich erinnere mich.
An den Tag, vor wenigen Jahren,
als ich abends allein im Bus saß um einkaufen zu fahren.
Und ich erinnere mich, wie ich das Gespräch der Familie hinter mir belauschte, und wie der älteste Sohn stolz verlautet,
dass er die scheiß Schwuchtel verprügelt habe.
Ich weiß noch, wie Panik durch meine Adern schoss,
und meine zitternde Faust sich um meine Kette schloss,
um den Regenbogen zu verstecken, der an ihr prangte,
und wie sehr ich betete,
dass sie den „Girls love girls“-Button auf meiner Brust nicht gesehen hatten, dass sie mich wenn ich ausstieg nicht verfolgen würden in den Schatten,
dass ich auf offener Straße sicher sein würde.
Und ich denke: Darum brauchen wir Pride.
Und meine Gedanken rennen weiter,
zu dem Tag mit der Strandfeier,
wo wir tanzten und lachten,
ausgelassen,
unbesorgt,
laut,
stolz,
und wie plötzlich einem der Schwulen das Lächeln vom Gesicht schmolz,
weil er so wie er aussähe nicht heil zu Fuß nach Hause kommen würde,
nur weil er High-Heels und Make-Up trüge.
Und ich denke: Darum brauchen wir Pride.
Die Erinnerungen strömen weiter, zu dem Tag
mit meiner ersten Freundin auf dem Jahrmarkt
und wie wir dort das erste Mal Händchen hielten.
Wie die Menschen schielten,
wie ihre Mitschülerinnen mit dem Handy auf uns zielten.
Ich erinnere mich, wie mein Herz raste,
erst vor Freude, und dann vor Angst,
weil jemand meiner Freundin drohte sie zu verprügeln,
wenn er sie das nächste Mal sehe.
Ich weiß noch wie hilflos ich war,
als ich die Panik in ihren Augen sah,
weil der Mitschüler bereits im selben Jahr
einen queeren Schüler verprügelte und daraufhin ganz und gar nichts geschah.
Und ich denke: Darum brauchen wir Pride.
In meinem Kopf klingen plötzlich all die Witze aus der Schule über trans Menschen, Lesben, Schwule,
die alle nur Witze waren,
und dennoch ist hier wo das Problem beginnt,
weil wir nun leider Menschen sind
und mit jedem Mal, das dieser Witz erklingt
ein bisschen mehr glauben, dass er stimmt,
und das leider nicht nur für den gilt, der die Worte erspinnt.
Ich glaubte es und schämte mich,
glaubte ich sei ekelig,
widerlich
versteckte mich.
So gut, dass selbst ich nicht einmal wusste: „wer bin ich?“
Und ich denke an all die Freunde, die queeren,
deren Familien sie nicht akzeptieren,
Nur weil sie nicht lieben,
wen sie lieben sollen,
nur weil ihr Geschlecht nicht das ist,
was man ihnen beimisst,
was ihre Eltern vor Jahrzehnten erfuhren,
als sie noch schworen,
das Geschlecht spiele keine Rolle.
Und wie groß meine Angst war, mir könnte dasselbe passieren.
Es reißt mich weiter, ins Jahr 2016, nach Köln, zu meinem ersten CSD,
den ich mit meiner besten Freundin besuchte.
Als wir die Parade noch vermieden,
Dem Trubel zu entfliehen versuchten.
Wir wollten einfach nur da sein,
einmal in der Mehrheit sein.
In einem Meer aus Regenbögen gestrandet,
in einem sicheren Hafen gelandet,
unter Hunderttausenden das erste Mal nicht allein,
das erste Mal wirklich stolz sein
Und sich zeigen.
Und obwohl wir vermieden mit jemandem zu reden, obwohl wir nichts weiter taten als gehen,
wir am Ende nass bis auf die Knochen waren vom Regen, war es dennoch einer der schönsten Tage in meinem Leben.
Plötzlich bin ich in Amsterdam.
Denn auch hier ist CSD, und wir wollen feiern, wollen tanzen, wollen stolz sein und uns sicher fühlen.
Doch auf dem Weg zur Parade,
wartet vor dem Bahnhof eine schreiende Brigade,
um mir zu sagen, dass ich zur Hölle fahre,
weil ich einen Regenbogen trage.
Und auch, wenn wir trotzdem feiern, tanzen, lachen,
bleibt doch der Schmerz bestehen,
weil diese Menschen es sich zur Aufgabe machen,
uns diesen einen sicheren und freien Ort zu nehmen.
Und ich denke: Darum brauchen wir Pride.
Ich öffne meine Augen und bin wieder hier
„Die Leute meinen es nicht böse“, sage ich mir
„Sie wissen es nicht besser.“,
„Sie denken nicht so weit.“
Und wieder denke ich:
Auch darum brauchen wir Pride.
©Britta Mekelburger